Menschen & Bäume
In diesem Jahr fuhr ich einmal quer durch Deutschland und war bald vollkommen vereinnahmt durch den Zustand unserer Vegetation. Insbesondere den der älteren Bäume, die ohnehin selten sind. Unzählige abgestorbene Bäume. – Als ich zu Hause aus dem Auto ausstieg, fand ich auch den Heimat-‚Wald’ durch die Holzwirtschaft verwüstet. Endlose Reihen gefällter Bäume – auch Altbäume, auch Laubbäume. Die Wege aufgebrochen, plattgewalzt, zerfurcht, aufgerissen.
Unseren Bäumen geht es ohnehin nicht gut, sie haben mit dem Klimawandel zu kämpfen, mit einem geschwächtem Immunsystem, mit Schädlingen und Parasiten, aber vor allem mit uns. Bäume sind alte Wesen, sie sind langsame Wessen, sie können nicht einfach umziehen. Der Wald braucht uns und wir brauchen ihn. In Weisheitslehren begegnet uns die Aufforderung die Natur zu suchen um uns selbst zu begegnen. Aber wo finden wir diese noch?
Die Folgen von Achtlosigkeit, Unverbundenheit, fehlendem Respekt und einem eklatanten Mangel an Mitgefühl sehen wir überall um uns herum. Was wir jetzt hier als Wald bezeichnen, ist eine industriell genutzte Fläche, Plantagen. Wald gibt es kaum noch. Dort geht dann ein Mensch durch, die Spraydose in der Hand und entscheidet welcher ‚nachwachsende Rohstoff Holz‘ geerntet werden soll. Und was wird aus den Tieren, die hier lebten, frage ich mich? Ich bin hier einem Feuersalamander begegnet, einige Zeit bevor die Harvester anrückten. Was ist mit seinem Lebensraum jetzt? Was geschieht mit den Erdbauten diverser Tiere? Was mit denen, die auf oder in den Bäumen leben?
Dazu finden sich auf jedem Quadratkilometer zehn Hochsitze. Von dem, was bei der Jagd ‚übrig‘ blieb, fand ich Zeugnisse im Wald, achtlos weggeworfen wie Müll.
Was läuft denn eigentlich mit dem Homo Sapiens gerade so dermaßen schief, dass er den Lebensraum – auch seinen eigenen so wenig respektiert, so wenig achtet?
Ich möchte alle Lebewesen in die Arme schließen, die sich nun gemeinsam in diesem bedrückenden Szenario befinden. „Wie innen so aussen“ heißt es. Das beutete, dass der Mensch seine Umwelt danach gestaltet und be-handelt, wie es in ihm selbst aussieht, wie er selbst behandelt wurde, was er beigebracht bekam, wie er sozialisiert wurde. Woher kommt denn all diese Gewalt? Möglicherweise ist die Frage müssig, denn ganz offensichtlich ist sie da, auch in uns. Wir kommen als zarte zerbrechliche Wesen auf die Welt, alle von uns, männlich oder weiblich und alles dazwischen. Verbunden mit dem Ursprung unseres Wesens. Ich bin überzeugt, dass wir alle ausnahmslos die Eigenschaften, die unser Planet und seine Lebewesen bräuchten, mitgebracht haben: Liebe, Verbundenheit und Mitgefühl.
Durch Erziehung und Sozialisation unweigerlich mit den sogenannten Härten unserer Welt konfrontiert, erscheint es unausweichlich zunehmend auf unsere Empfindsamkeit zu verzichten. Wie sollten wir sonst in einer Welt bestehen und funktionieren, in der Gewalt in ihren zahllosen Spielarten an der Tagesordnung ist?
Indem wir unsere Kinder dazu bringen sich von ihrer Verbundenheit und ihrer mitgegeben Empfindsamkeit zu lösen, entwickeln wir uns in ein Menschsein hinein, dem das Wesentliche fehlt um den Umgang mit unserem Planeten und den Mitmenschen zu verändern.
Ist es tatsächlich eine gute Idee unseren Nachwuchs mit so viel ‚Aussichtslosem‘ zu konfrontieren? Insbesondere über Bilder und Filme. Ich selbst erinnere mich gut an Bildmaterial zu Schlachtviehtransporten und der Abholzung von Amazonasflächen, an Fotos und Filme von hungernden Kindern und Krieg überall auf der Welt. Was erreichen wir damit? Was, wenn wir damit ebenfalls in einen intakten Lebensraum eindrängen, mit all den Bildern und Nachrichten über Gewalt? Auf diese Weise schüren wir Ängste, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht und kreieren Härte. Alles, was zu überwältigend, zu schmerzhaft ist um in der Welt zu bestehen, zu funktionieren, muss weg. Daraus ergibt sich Abhärtung als Anpassungsstrategie. Aber wollen wir das? War und ist es nicht unsere Aufgabe genau diejenigen Eigenschaften in nachfolgenden Generationen zu stärken, die sie zu bewussten aufmerksamen Menschen heranwachsen lässt. Heutzutage kommt niemand mit einem Smartphone in der Tasche an diesen Informationen vorbei, Medien 24/7, Bilder und Infos rund um die Uhr. Das ist zu viel. Wir wollen doch keine Jugend, die sich fühlt, wie Wild unter Erntedruck; So ganz und gar ohne Zuflucht, nicht im Innen, nicht im Aussen. Was wir nach dem Homo Sapiens brauchen ist der Homo Conscius. Eine Menschheit, die sich bewusst ist, dass ein Baum eben kein ‚Rohstoff‘ ist, auch kein ‚Holz’, sondern ein Lebewesen und dazu noch unser Antagonist. Dass wir untrennbar verbunden sind. Wir sind eins im Einatmen und Ausatmen. Dass wir in Demut vor dem stehen, was die Natur als Lebensraum darstellt. Wir brauchen die Bäume zum Leben. Jeder einzelne Baum zählt in diesen Tagen, jeder einzelne.
Das Argument, dass wir ja unsere ‚Entnahmen‘ wieder aufforsten, lasse ich nicht gelten, wenn ein hundertjähriger Altbaum durch einen winzigen kunsstoffummantelten Stängel ersetzt wird, der dann auf einer kahlen Stelle steht, ohne Schutz, ohne Schatten. (Vom Mikroplastik einmal abgesehen, fühlt sich das doch irgendwie falsch an, oder? In welchem Universum sieht denn ein ‚Naturraum‘ richtig aus, in dem es aussieht, als wäre Krieg.
Wenn es also in uns so aussieht, dann ist es vielleicht auch eine Idee dort anzusetzen. Kindern den Raum zu geben zu bewussten, empfindsamen Menschen heranzuwachsen und nicht zu kleinen Kriegern, die wie der Papi bei einem überfahrenen Tier schon mal als erstes nach dem Auto schauen. Was wir mit unserer Umgebung machen, machen wir mit uns selbst. Wir geben ihnen mehr mit, wenn wir selbst ihnen achtsam, sorgfältig, gegenwärtig und mitfühlend begegnen, ihre Räume respektieren und ihr so sein. Wenn wir verbunden bleiben und ihnen helfen Möglichkeiten im Umgang mit Gewalt zu finden. Sie darin unterstützen weiter an die Menschheit und ihre Vernunft zu glauben, die Zuversicht zu kultivieren, dass es niemals zu spät ist für heilsame Prozesse und dass sie auf gar keinen Fall dem ohnmächtig gegenüber stehen. Dass sie selbst ein Bewusstsein entwickeln können darüber, dass sie mit allem verbunden sind und dass jeder Mensch zählt der beginnt sich achtsam zu bewegen und Achtsamkeit zu üben.
Es gibt eine Schule in England, da lernen die Kinder sich zunächst selbst kennen, es wird meditiert, sie lernen etwas über Stressverhalten Angstreaktionen und lernen achtsame Kommunikation. Sie tragen dieses Wissen mit nach Hause und verändern ihr Umfeld, ihre Welt.
Für Mensch, Tier, Pflanze, Wasser, Stein, Erde, Luft, unseren Planeten, wünschte ich mir, dass Flächen und Räume freigestellt werden um das zu sein, was schon ist. Dass wir Demut lernen gegenüber Mensch und Natur.
Es ist wohl an der Zeit, dass wir uns von den tiefgreifenden Abrücken einer mechanistischen Weltsicht endgültig verabschieden. Eine materialistisch-deterministische Weltsicht, in der die Natur zu einer Produktionsmaschine im Dienste der Menschen degradiert wurde, hat uns dorthin geführt, wo wir momentan stehen und das auch im Umgang mit uns selbst.
∗
Literatur:
Bauer, Joachim (2011). Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt. Karl Blessing Verlag.
Hüther, Gerald (2021). Lieblosigkeit macht krank. Herder Verlag.
Merchant, Carolyn (1980). Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft. Beck Verlag.
Seneca, Lucius Annaeus (2010). Von der Seelenruhe. Vom glücklichen Leben. Von der Muße. Von der Kürze des Lebens. Anaconda Verlag.
Thich Nhat Hanh (1975). Das Wunder der Achtsamkeit. Theseus Verlag
Wall Kimmerer, Robin (2023). Geflochtenes Süßgrass. Die Weisheit der Pflanzen. (7. Auflage). Aufbau Verlag.
Wohlleben, Peter (2019). Das geheime Band zwischen Mensch und Natur: Erstaunliche Erkenntnisse über die 7 Sinne des Menschen, den Herzschlag der Bäume und die Frage, ob Pflanzen ein Bewusstsein haben. Ludwig Verlag